Das Programm der nächsten Nachrichtendienstkonferenz ist in Arbeit.

Täglich hybride Angriffe

Nachrichtendienste befähigen, Herausforderungen zu meistern

Im Nachgang zur Nachrichtendienst-Konferenz spricht Dr. Konstatin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGrs), mit Dr. Eva-Charlotte Proll darüber, mit welchen Maßnahmen und In-strumenten er die Dienste zeitgemäß für die Zukunft gerüstet sieht.

Behörden Spiegel: Das PKGr ist unter Ihnen zum prominenten Mahner mit Blick auf die Eingriffsrechte und Befugnisse der Dienste geworden. Wie weit leiten Sie hieraus praktische Maßnahmen ab?

Dr. Konstantin von Notz: Wegen der angespannten Sicherheitslage und der wachsenden Herausforderungen durch Spionage, Sabotage und Terrorismus muss die Zeitenwende endlich auch bei den Nachrichtendiensten ankommen. Das bedeutet, wir müssen unsere Nachrichtendienste finanziell, personell und technisch massiv stärken. Außerdem müssen wir unsere kritischen Infrastrukturen besser vor Angriffen schützen.

Wir als PKGr haben daher auch seit dem von Russland im Februar 2022 begonnenen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine schon dreimal von unserem Recht nach Paragraph 10 Kontrollgremiumsgesetz (PKGrG)Gebrauch gemacht und „Öffentliche Bewertungen“ vorgenommen. Darüber hinaus bin ich froh, dass das Bundesinnenministerium nun endlich einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie vorgelegt hat, den wir nun im Parlament beraten werden.

Es braucht allerdings dringend auch einen Kabinettsbeschluss für ein KRITIS-Dachgesetz, darauf drängen wir gegenüber dem federführenden Bundesinnenministerium schon seit langem mit Nachdruck.

Behörden Spiegel: Was bedeutet das mit Blick auf die Gesetzesnovelle für die Dienste?

von Notz: Wir wollen die Nachrichtendienste befähigen, die aktuellen Herausforderungen mit effektiven und verfassungsgemäßen Befugnissen meistern zu können. Der MAD benötigt beispielsweise neue Rechtsgrundlagen, um seinen Auftrag zum Schutz der ständig in Litauen stationierten Brigade erfüllen zu können. Mit einer öffentlichen Bewertung des PKGrs zu Defiziten bei den Finanzermittlungen im Extremismusbereich Anfang des Jahres konnten wir einen Gesetzesentwurf des BMI anstoßen, der nun im Rahmen des Sicherheitspakets umgesetzt wurde und dazu führen wird, dass die Nachrichtendienste Finanzströme von extremistischen Organisationen künftig besser aufspüren und nachverfolgen können. Wir fordern das Kabinett nahezu täglich auf, endlich die Gesetzesentwürfe zur großen Reform des Nachrichtendienstrechts zu verabschieden, damit wir die Befugnisse der Nachrichtendienste neu regeln, den aktuellen Anforderungen der Zeit gemäß anpassen und insgesamt anwenderfreundlicher gestalten können. Hierbei müssen dringend auch einige vom Bundesverfassungsgericht getätigten Vorgaben nachjustiert werden.

Behörden Spiegel: Muss in der Gesellschaft nicht ein Mindset-Wandel gefördert werden, mit Blick darauf, dass die Dienste vor allem als erste Verteidigungslinie im Vorfeld für Sicherheit in Deutschland sorgen und verfassungsgemäß auf demokratischen Füßen stehen?

von Notz: Definitiv. Wir müssen verstehen, dass die Nachrichtendienste unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Demokratie verteidigen. In der Vergangenheit haben wir eher theoretisch oder am Rande von Spionage, Sabotage und hybriden Bedrohungen gesprochen. Das hat sich geändert, gegen unsere Demokratie laufen auf allen Ebenen täglich hybride Angriffe ausländischer Akteure im Auftrag fremder Mächte. Dabei setzen ausländische Nachrichtendienste skrupellos alle Möglichkeiten dazu ein, Mordanschläge und Sabotageaktionen zu verüben. Wir müssen als Gesellschaft ein bisschen raus aus unserer „Komfortzone“ und insgesamt resilienter werden – dazu gehört auch die Erkenntnis, dass wir in unsicheren Zeiten leben und unsere Sicherheitsbehörden so etwas wie unsere Lebensversicherung gegen all die „Bösen Mächte“ da draußen sind und daher Unterstützung und Respekt verdienen.

Behörden Spiegel: Wie soll das vonstatten gehen und wo sehen Sie Ihre Aufgabe darin, bzw. die der Politik?

von Notz: Die Präsidenten der Nachrichtendienste haben der Bevölkerung die Gefahrenlage in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am 14. Oktober mit außergewöhnlich deutlichen Worten geschildert.

Wir als Parlamentarisches Kontrollgremium verstehen unsere Aufgabe so, dass wir die Nachrichtendienste in ihrer Tätigkeit nicht nur kritisch begleiten, sondern auch das, was wir in unseren geheimen Sitzungen erfahren, in die politischen Prozesse einbringen und in geeigneter Form nach außen tragen, um zu einem Bewusstseinswandel bei den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und der Bevölkerung beizutragen.

Im Fall der Fälle

Im Verteidigungsfall gibt es kaum Regeln für die Nachrichtendienste

Zwischen den Notstandsgesetzen von 1968 und dem Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (1990) (BND-Gesetz) liegen 22 Jahre. Entsprechend gering sind die Überschneidungspunkte. Dabei stehen die Nachrichtendienste im Spannungs- und Verteidigungsfall vor besonderen Herausforderungen. Das Verteidigungsministerium (BMVg) arbeitet an einem Gesetz, das Abhilfe schaffen soll.

Im Spannungsfall ist das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz (SGleiG) ausgesetzt: Bis 2018 war dieser Hinweis die einzige Konsequenz für die Nachrichtendienste der Bundesrepublik, würde in Deutschland der Spannungs- oder Verteidigungsfall ausgerufen. Dieses Beispiel verdeutlicht: Von den Privilegien der Notstandsgesetze profitieren die Nachrichtendienste in Deutschland nicht.

Dieser Umstand ist der Zeit geschuldet, in der das BND-Gesetz entstand. In den frühen 90er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, schien eine umfassende kriegerische Auseinandersetzung in Europa unwahrscheinlich. Die Frage, welchen Regeln sich das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) im Spannungsfall nicht länger unterwerfen muss, stellte sich ein Jahr, nachdem Francis Fukuyama das Ende der Geschichte beschworen hatte, niemand.

34 Jahre später ist der Krieg in Europa Realität und hybride Angriffe sind Alltag. Die Frage, unter welchen Bedingungen die deutschen Dienste im Krisenfall handeln können und müssen, drängt. „Die nachrichtendienstliche Bedrohungslage hat sich mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine deutlich verschärft“, erklärte Torsten Akmann, BAMAD-Vizepräsident, auf der Nachrichtendienst-Konferenz des Behörden Spiegel.

Beim Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat man diesen Ruf gehört. Im Rahmen der anstehenden zweiten Welle der Novellierung des BND-Gesetzes plant das BMVg, ein Gesetz einzubringen, das Privilegien für die Nachrichtendienste im Spannungs- oder Verteidigungsfall definiert.

Im Verteidigungsfall soll sich die Bürokratie hinten anstellen

Wie der Behörden Spiegel erfahren hat, ist es ein Anliegen des BMVg, für den Spannungsfall bürokratische Hürden abzubauen. So plant man im Gesetzesvorschlag, bestimmte Dokumentationsaufgaben zumindest zeitweise auszusetzen. Konkret steht die Überlegung im Raum, Auskunftsanträge im Spannungs- oder Verteidigungsfall zu vertagen und erst nach Auflösung der Situation zu bearbeiten. Bisher ist Personen, die dienstlich oder beruflich mit dem BMVg oder dessen Geschäftsbereich verbunden sind, nach Paragraf 9 des Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst (MADG) juristisch eingeräumt, unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person beim BAMAD gespeicherten Daten zu erhalten. Zwar ist es dem BAMAD auch nach gegenwärtiger Rechtslage unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die Auskunft zu verweigern, die Antragstellenden können dagegen jedoch Widerspruch einlegen. Dieser komplexe und arbeitsintensive Prozess soll nach Willen des BMVg im Spannungs- oder Verteidigungsfall entfallen.

Eine weitere Überlegung gilt dem doppelten Aufgabenprofil des BAMAD. Bisher ist der Dienst verantwortlich, wenn Angehörige der Bundeswehr sowohl der Opfer- als auch der Täterseite zuzuordnen sind. In Friedenszeiten ist das BAMAD fähig, diese Doppelfunktion abzubilden. Wenn allerdings im Spannungs- oder Verteidigungsfall die Spionage- und Sabotagetätigkeit explodiert, ist das Amt kaum noch in der Lage, unter doppelter Belastung zu arbeiten. Denn mit dem Verteidigungsfall verschiebt sich die Bedrohungslage verstärkt zu externen Gefahren.

Die Planerinnen und Planer im BMVg schlagen deshalb vor, die nachrichtendienstlichen Aufgaben, gegen Bundeswehrangehörige in der Täterrolle zu ermitteln, zugunsten des Spionage- und Sabotageschutzes hintanzustellen. Dass die Bundesrepublik im Verteidigungsfall vermehrt Ziel von Sabotage und Spionage sein wird, ist aufgrund ihrer Rolle als Drehscheibe der NATO zu erwarten. Wenn der erste scharfe Schuss fällt, steigt die Aufgabenlast für die Dienste sowohl in Quantität als auch in Qualität.

Des Weiteren stellt sich im BMVg die Frage, ob man neben den etablierten Eskalationsstufen im Rahmen der Notstandsgesetze eine vierte Kategorie unterhalb von Zustimmungs-, Spannungs- und Verteidigungsfall etablieren sollte. Das Konzept sieht vor, neben dem Zustimmungsfall, dem Spannungsfall und dem Verteidigungsfall eine vierte Kategorie als Tatbestandsalternative zum Zustimmungsfall zu gestalten.

Während nach gültigem Recht Spannungsfall und Verteidigungsfall jeweils mit eskalierenden Rechtsfolgen einhergehen, ist in der Tatbestandsalternative Zustimmungsfall die dosierte Freigabe einzelner Bestimmungen des Notstandsrechts vorgesehen. Welche Maßnahmen genau zu entsperren sind, obliegt dabei der parlamentarischen Kontrolle. Der im BMVg diskutierte Vorschlag würde in diesem Konstrukt die Alternative zur Alternative darstellen. Der große Vorteil eines derartig gestalteten Rechtsrahmens ist, dass er den Nachrichtendiensten frühzeitig niederschwellige Handlungsraumerweiterungen einräumt, die zur Vorfeldaufklärung befähigen.

Das Bestreben des BMVg, die Nachrichtendienste im Spannungs- oder Verteidigungsfall von bürokratischem Arbeitsaufwand zu entbinden, ist der Tatsache geschuldet, dass die soldatischen Dienstposten in den Nachrichtendiensten in anderen Funktionen an der Front zum Einsatz kommen werden.

Mit zunehmend schwieriger Lage geht Personal verloren

Der zunehmenden Aufgabenlast steht also ein schrumpfender Personalkörper gegenüber. Die kampfbedingten Ausfälle durch neue Mitarbeitende zu ersetzen, wird dieses Dilemma nicht lösen, da es einer langwierigen Ausbildung und umfassender Erfahrung bedarf, um effizient nachrichtendienstlich arbeiten zu können.

Diesem Umstand entsprechend arbeitet das BMVg bereits an Vorschlägen zur Reduktion des bürokratischen Aufwandes, die außerhalb der Neuregelungen der Notstandsgesetze liegen. Theodor Höges, Referat Steuerung und Querschnittsaufgaben MAD beim BMVg, erläuterte in Berlin, dass man beim BMVg in Betracht ziehe, die immense Last, die dem BAMAD durch das Durchführen von Sicherheitsüberprüfungen entstehe, abzufedern. Etwa 70.000 Prüfungen dieser Art führt das BAMAD jedes Jahr durch. Von den 1.600 Mitarbeitenden des Amtes sind bereits 400 vollständig durch diese Aufgabe gebunden. Eine einfache Prüfung von in die Bundeswehr eintretenden Soldatinnen und Soldaten anstelle des bisher eingesetzten Verfahrens könnte diese Arbeitsposten deutlich verkleinern.

Offene Fragen und Regelungsbedarfe bezüglich der Nachrichtendienste im Spannungs- und Verteidigungsfall gibt es viele. Demgegenüber steht der Handlungsdruck zunehmender Sabotage- und Spionagetätigkeiten. Eine weitere Steigerung erfährt die Dringlichkeit, wenn man sich vor Augen führt, welche verfassungsrechtlichen Verfahren Änderungen im Rechtsbereich der Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren nach sich zogen. Eine schnelle Durchführung der zweiten Welle der BND-Gesetz-Novellierung wird kaum vonstattengehen, ohne dass das Bundesverfassungsgericht ein Wörtchen mitreden wird.